KFZ‑Gutachten nach einem Unfall: Der vollständige Leitfaden 2025 (Rechte, Ablauf, Kosten, 130 %-Regel & E‑Auto‑Spezial)
Artikel von Dominik Donhauser

Warum ein unabhängiges KFZ‑Gutachten nach einem Unfall unverzichtbar ist
Nach einem Unfall entscheidet ein qualifiziertes Gutachten über Schadenshöhe, Reparaturweg, Wertminderung, Wiederbeschaffungswert und Restwert – und damit über die Höhe Ihrer Ansprüche gegenüber der gegnerischen Haftpflichtversicherung. In aller Regel trägt bei unverschuldetem Unfall die Gegenseite die Kosten des erforderlichen
Sachverständigengutachtens; bei geringfügigen Bagatellschäden genügt oft ein Kostenvoranschlag.
Ihre wichtigsten Rechte – kompakt & aktuell
1) Freie Wahl des Gutachters
Als Geschädigte:r dürfen Sie einen unabhängigen Sachverständigen Ihrer Wahl beauftragen – das Gutachten bildet die Basis der Regulierung; bei Fremdverschulden sind die Kosten erstattungsfähig.
2) Bagatellgrenze (Richtwert ca. 750 €)
Bei klar erkennbaren Kleinschäden kann ein Kostenvoranschlag genügen. Die sog. Bagatellgrenze wird in der Rechtsprechung um ca. 750 € verortet (BGH‑Linie seit 2004; stets im Lichte der „ex‑ante‑Sicht“ des Geschädigten zu prüfen).
3) Fiktive Abrechnung bleibt zulässig
Sie dürfen auf Gutachtenbasis abrechnen, ohne eine Reparaturrechnung vorzulegen (BGH, 28.01.2025 – VI ZR 300/24). Mischformen sind begrenzt: Umsatzsteuer gibt es bei fiktiver Abrechnung nicht (keine Vermischung von fiktiver/konkreter Abrechnung).
4) 130 %-Regel (Integritätszuschlag)
Liegen die Reparaturkosten bis zu 30 % über dem Wiederbeschaffungswert, kann eine vollständige und fachgerechte Reparatur dennoch ersatzfähig sein – wenn Sie das Fahrzeug anschließend weiter nutzen (st. Rspr. des BGH).
5) Nutzungsausfall oder Mietwagen
Statt Mietwagen können Sie Nutzungsausfall verlangen. Die anerkannten Tagessätze liegen modell- und altersabhängig aktuell zwischen ca. 23 € und 175 €, die Zuordnung erfolgt meist über Schwacke/DAT‑Listen.
6) Restwert & Sonderfall Leasing
Der Restwert fließt in die Abrechnung ein. Für Leasinggesellschaften hat der BGH klargestellt (02.07.2024 – VI ZR 211/22): Die Restwertermittlung hat unter Nutzung der Restwertbörsen zu erfolgen (Sondermarkt), weil es sich um gewerbliche Anbieter handelt.
7) Regulierungsfristen
Wenn alle Unterlagen vorliegen, halten Gerichte regelmäßig ca. 4-8 Wochen als angemessen für die Regulierung – je nach Fallgestaltung.
Der Ablauf eines KFZ‑Gutachtens – Schritt für Schritt
- Erstkontakt & Anspruchsprüfung
Kurzes Telefonat/Online‑Anfrage: Was ist passiert, wer ist beteiligt, Haftungslage grob, Fahrbereitschaft? (Bei Fremdverschulden: Kostenübernahme durch gegnerische Haftpflicht grundsätzlich möglich.) - Besichtigung & Beweissicherung
Vor Ort oder in der Werkstatt: Fotos, Messungen, Diagnosetools; Erfassung von verdeckten Schäden und sicherheitsrelevanten Bauteilen. Eine sorgfältige Beweissicherung stärkt Ihre Position gegenüber der Versicherung. - Kalkulation & Bewertung
Ermittlung von Reparaturkosten, Wiederbeschaffungswert, Restwert, merkantiler Wertminderung sowie ggf. Nutzungsausfall‑Gruppe (Schwacke/DAT). - Gutachten & Versand
Vollständiges Gutachtendokument für Sie, die Werkstatt, die Versicherung (und auf Wunsch an Ihre Rechtsvertretung). Fiktive Abrechnung ist möglich; Umsatzsteuer fällt dort nicht an. - Schadensregulierung
Je nach Fall 4-8 Wochen als Orientierung; bei Verzögerung kann eine Fristsetzung sinnvoll sein.
Kosten & Kostenträger – was realistisch ist
- Unverschuldeter Unfall: Die gegnerische Haftpflichtversicherung muss die erforderlichen Gutachterkosten erstatten (Ausnahme: klarer Bagatellschaden).
- Bagatellschaden: Häufig reicht ein Kostenvoranschlag – andernfalls riskieren Sie, auf Gutachterkosten sitzenzubleiben.
- Teil-/Mitverschulden: Erstattung anteilig nach Haftungsquote.
- Kaskofall (Eigenverschulden): Den Gutachter beauftragt in der Regel Ihre Versicherung; Konditionen je nach Vertrag.
Rechtliche Eckpfeiler – in verständlich
Fiktive vs. konkrete Abrechnung
- Fiktiv: Auszahlung der Netto‑Reparaturkosten nach Gutachten – ohne Rechnungsnachweis.
- Konkret: Nach tatsächlicher Reparatur gegen Rechnung (inkl. USt.). Keine Vermischung der Systeme (z. B. nachträgliche USt. bei rein fiktiver Abrechnung).
130 %-Regel – wann sie greift
- Bis 130 % des WBW (Wiederbeschaffungswerts) dürfen Sie reparieren, wenn die Reparatur vollständig und fachgerecht erfolgt und Sie weiter nutzen.
Nutzungsausfall – so wird er berechnet
- Tagessatz gemäß Schwacke/DAT‑Gruppe (aktuell ca. 23-175 €), ggf. Herabstufung bei älteren Fahrzeugen; Anspruchsdauer: Reparatur‑ oder Wiederbeschaffungszeit.
Restwert – worauf es ankommt
- Leasing/gewerblich: BGH verlangt Recherche im Sondermarkt (Restwertbörsen). Fehlerhafte Ermittlung kann Regressrisiken auslösen.
Besonderheiten bei E‑Autos & Hybriden (Hochvoltsysteme)
Bei Elektro‑/Hybridfahrzeugen gelten zusätzliche Sicherheits- und Qualifikationsanforderungen. Arbeiten an HV‑Systemen dürfen nur von entsprechend qualifizierten Fachkundigen (FHV) nach DGUV‑Vorschriften durchgeführt werden. Das betrifft Mess‑, Demontage‑ und Sicherungsarbeiten nach Unfällen ebenso wie Bewertungen von Batterie, Inverter, HV‑Kabelbaum.
Praktisch heißt das:
- Fahrzeug sichern & spannungsfrei schalten (HV‑Freischaltung),
- Gefährdungsbeurteilung durchführen,
- Maßnahmen gemäß DGUV Information 209‑093 einhalten.
Ein Gutachten sollte diese Besonderheiten abbilden – inkl. Batteriezustand, eventueller Thermal‑Runaway‑Risiken und Herstellervorgaben zur Reparaturfreigabe.
Häufige Fragen (FAQ)
Nicht zwingend. Unterhalb der Bagatellgrenze genügt oft ein Kostenvoranschlag mit Fotos.
Bei unverschuldetem Unfall grundsätzlich die gegnerische Haftpflicht, sofern das Gutachten erforderlich war (kein reiner Bagatellschaden).
Ja – ohne Rechnungsnachweis; USt. wird nicht erstattet.
Je nach Fall – als grobe Richtschnur 4-8 Wochen nach Einreichung aller Unterlagen.
Statt Mietwagen erhalten Sie einen Tagessatz gemäß Schwacke/DAT (ca. 23-175 €), solange Ihr Auto unfallbedingt ausfällt bzw. während der Wiederbeschaffung.
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